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Klassenspiel im Januar

„Ich kann mit meinen zwei Gesichtern in die Vergangenheit und in die Zukunft schauen!“, prahlte der Gott Janus*, der von dem eher schüchternen Robbi Maler aus der achten Klasse gespielt wurde.
„Ich bin der Gott des Anfangs und der des Endes!“, rief er und schlug sich drei Mal kräftig mit der rechten Faust, in der er einen riesigen Schlüssel hielt, auf den Brustkorb. Sein Gesicht nahm dabei einen gequälten Ausdruck an. Ihm war anzusehen, dass er sich nicht wohlfühlte.
„Dann sag uns, Janus, wie wird die Zukunft aussehen?“, bat der Priester, dargestellt von Dennis Watermann. Keiner passte so gut in die Rolle des Priesters wie Dennis, der auch im richtigen Leben sicherlich einmal Pastor werden würde. Predigen konnte er auf jeden Fall gut und was er sagte, das hatte Hand und Fuß.
Robbi als Janus erhob seine Hände über den Kopf, so als balancierte er einen dicken Medizinball über sich.
Im Zuschauerraum saßen Ira und Sophie. Gespannt verfolgten sie die Szene und als Robbi nach gefühlten zwei Minuten noch immer nichts gesagt hatte, kicherten sie.
„Wetten, dass er wieder seinen Text vergessen hat?“, wisperte Ira.
„Ruhe da hinten!“, rief Direktor Menzel verärgert. Ira schlug erschreckt die Hand vor den Mund.
„Bitte Robbi, machen wir weiter!“, ordnete er an.
Robbi hatte sich wieder gefangen. Er erhob erneut die Hände und schaute dann verzweifelt Toni Gerdecke an, der als Souffleur eingeteilt war. Dessen Aufmerksamkeit aber galt Carina, die sich neben der Bühne die Strumpfhose auszog, weil Göttinnen doch nicht mit rutschenden Strumpfhosen auftreten konnten.
„Gerdecke!“, kreischte Direktor Menzel. „Hilf Robbi weiter mit dem Text, oder schläfst du auch?“
„Ich, der Hüter der Tore und Brücken …“, stammelte Toni.
Robbi wiederholte erleichtert: „Ich, der Hüter der Tore und Brücken, muss nach vorn schauen, denn Neues kommt auf uns zu!“ Er drehte sich langsam um und zeigte sein zweites Gesicht, das im Gegensatz zum ersten jung aussah, frisch und unverbraucht.
„Ja, das wissen wir, großer Janus. Doch, was wird es uns bringen?“, fragte der Priester erneut.
Robbi schluckte. Dann sagte er ruhig und völlig unaufgeregt:
„Toni Gerdecke wird sich einen steifen Nacken einhandeln, weil er von Carina gar nicht genug sehen kann und die wiederum wird sich eine Blasenentzündung einfangen, weil sie in dieser Eiseskälte hier die Strumpfhosen ausgezogen hat. Ira und Sophie werden einen heftigen Schluckauf vom unterdrückten Lachen bekommen und Sie, Direktor Menzel sind stark gefährdet, einen Infarkt zu erleiden, ihr Gesicht ist hochrot. Und ich …“, er machte eine bedeutungsvolle Pause, „werde mich aus dieser Rolle verabschieden. Sie liegt mir nicht und Spaß macht mir dieses Theater auch nicht!“
Nach diesen Worten verließ er die Aula, in der es totenstill geworden war.
Direktor Menzel nahm sein Textbuch, zog sein Jackett an und verließ ebenfalls den Raum, die restlichen Anwesenden zogen ihre Privatkleidung an und gingen in die Pause.
Ich blieb zurück, mich hatte niemand gesehen. „Respekt“, dachte ich und meinte Robbi, der sich praktisch freigesprochen hatte von etwas, das er nicht wollte. „Respekt!“, sagte ich und ging ebenfalls nach Hause.

© Regina Meier zu Verl

*Janus, der Gott mit den zwei Gesichtern, hat dem Monat Januar seinen Namen gegeben

Hier lese ich euch die Geschichte vor!

Klassenspiel im Januar
Photo by Jonas Kakaroto on Pexels.com