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Der Schneeflockenstreik

Eines Winters war Frau Holle sehr aufgeregt. Die Schneeflocken nämlich hörten nicht mehr auf ihre Rufe. Im Gegenteil. Faul und schläfrig lümmelten sie auf ihrer Schneewolke. Es schien, als hörten sie sie nicht.
„Wollt ihr wohl schneien!???“, rief Frau Holle erbost.
Sie packte ihr Wolkenkissen an beiden Zipfeln und schüttelte es heftig.
Die Schneeflockensterne aber rührten sich nicht. Wie festgeklebt klammerten sie sich an die Wolkenwände.
Frau Holle versuchte es mit Schimpfen, mit Bitten, mit Betteln, ja, sie sang ihnen sogar ein Winterlied:
„Auf, ihr kleinen Flockenkinder! Seht! Auf Erden ist jetzt Winter. Die Leute, sie rufen und warten auf Schnee. Fliegt los, meine Lieben! Auf! Auf! Und Ade!“
Aber auch mit ihrem Gesang hatte sie kein Glück. Im Gegenteil.
Eine der Schneeflocken sprang auf Frau Holles breite Nase und schimpfte los:
„Wir wollen nicht auf die Erde fliegen. Viel lieber bleiben wir hier liegen. Auf der Erde warten Leute, sagst du, auf Schnee? Pah! Sollen sie warten – wir kommen nicht. Nee!“
Frau Holle erschrak. „Ojemine!“, stammelte sie. „Kein Schnee auf der Erde? Warum? Was ist bloß mit euch los?“
Diese Frage hätte sie den Schneeflocken besser nicht gestellt, denn wie auf Kommando wirbelten diese nun auf und umtanzten die arme Frau Holle. Dabei schimpften und klagten sie laut:
„Es gefällt uns auf der Erde nicht mehr!“
„Schmutzig ist es dort überall!“
„Wir aber sollen die hässlichen Flecken mit unseren weißen Sternen zudecken!“
„Und in dem Schmutz geht – eins, zwei, drei- unsere weiße Pracht ganz schnell vorbei.“
Die Schneeflocken waren sich einig.
Frau Holle war tief bestürzt. „Ojemine“!“, sagte sie wieder. „Kein Schnee auf der Erde? Das wird ein trostloser Winter geben. Und habt ihr an die Kinder gedacht? Was machen Kinder im Winter ohne Schnee?“
Hm! Die Schneeflocken schwiegen betreten.
„Gefällt es den Kindern noch auf dieser schmutzigen Erde?“, fragte schließlich eine Flocke zögernd, und eine andere meinte:
„Die armen Kinder, ja, die haben wirklich nichts zu lachen.“
„Aber was können Kinder gegen Schmutz auch machen?“, überlegte eine dritte Flocke, und eine vierte meinte:
„Bestimmt wünschen sie sich auch, dass es sauberer ist auf der Erde.“
„Ganz bestimmt“, bestätigte Frau Holle. „Ihr solltet an die Kinder denken und ihnen etwas Freude schenken mit eurer weißen Flockenpracht! Fliegt bitte los, heut, in der Nacht!“
Die Schneeflocken sahen einander fragend an. Dann nickten sie zögernd, und die Oberschneeflocke rief laut:
„Wir werden an die Kinder denken und ihnen etwas Freude schenken, damit es ihnen auf der Welt im Winter gut gefällt. Los, Freunde, bereitet euch vor auf die Reise zur Erde! Wir werden schon erwartet.“
Die Schneeflocken nickten, und schnell wirbelten die ersten los. Ganz zaghaft begann es endlich zu schneien. Frau Holle aber stieß einen tiefen Seufzer aus. Vor lauter Erleichterung. Ich glaube, ich habe ihn gehört. Ihr auch?

© Elke Bräunling

Schneeflocke, Bildquelle © Free-Photos/pixabay