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Vom eingebildeten Lebkuchen

„Wann ist denn eigentlich dieses Weihnachten?“, fragte der dicke Lebkuchen, der seit einigen Wochen schon im Regal des Supermarktes lag und auf einen Käufer wartete. „Und was ist das eigentlich?“
„Da fragst du ausgerechnet mich?“, wisperte die Marzipankartoffel, die gerade frisch ins Regal eingezogen war. „Du bist doch das Weihnachtsgebäck schlechthin. Zu keiner anderen Jahreszeit schmeckt Lebkuchen so gut wie zu Weihnachten.“
„Schmecken? Du meinst, wir sind etwas zum Schmecken? Heißt Weihnachten schmecken? Oh, ich bin ganz verwirrt.“
Es raschelte und der Kopf eines Schokoladenweihnachtsmannes tauchte zwischen den Marzipankartoffeln auf.
„Weihnachten hat auch etwas mit Schmecken zu tun, aber nicht nur. Der tiefere Sinn bin ich! Ich allein!“, brummte er.
„So ein Quatsch!“, mischte sich die Herzpraline ein. „Weihnachten ist das Fest der Liebe!“
„Das gefällt mir“, sagte der dicke Lebkuchen. „Liebe ist etwas Gutes. Es ist fast so gut und fast so süß, wie ich es bin und ich bin der Meinung, man könnte mich und diese Sache mit der Liebe öfter feiern.“
„Dich feiern?“, riefen die Spekulationskekse aus dem unteren Regal auf. „Ha!“
„O du fröhliche!“, sangen die Zimtsterne mit heller Stimme. Das klang so lieblich, dass alle anderen schwiegen und gebannt lauschten. „Christ ist geboren, freue dich, freue dich o Christenheit!“
„Ach so, es geht um einen Geburtstag, das kenne ich!“ Das war der hölzerne Nussknacker, der sich ebenfalls in der Nähe der Weihnachtsköstlichkeiten befand.
„Auch!“, antwortete der dicke Lebkuchen. „Weihnachten ist auch ein Geburtstagsfest. Man könnte sagen, man feiert, dass wir Lebkuchen jedes Jahr wieder ins Land kommen und den Menschen ein Lächeln auf ihre Gesichter zaubern, wenn sie uns sehen und, noch besser, wenn sie uns genießen. Man könnte das Weihnachtsfest eigentlich umtaufen in ‚das Lebkuchenfest‘. Ja, das könnte man.“
Der Nussknacker war da anderer Meinung. Er beschimpfte den Lebkuchen: „Du, du, blöder Kerl. Von dir bekommt man Verstopfung, ich kenne mich da aus. Klebrig und süß, ganz schlecht für meine Zähne. Ich vertrage nur Nüsse, sie sollte man feiern!“
„Gesund sind wir alle nicht“, lachten die Marzipankartoffeln. „Aber lecker. Und manchmal, ja, manchmal streicheln wir traurige Seelen. Gerade jetzt zur dunklen Zeit.“
„Recht habt ihr“, dröhnte der Weihnachtsmann mit tiefer Stimme. „Und deshalb sollten wir uns alle vertragen. Weihnachten ist nämlich nicht nur das Fest der Liebe, sondern auch des Friedens.“
„Genau“, riefen die Spekulationskekse. „Der Liebe und des Friedens.“
„Und des Lebkuchens“, murmelte der dicke Lebkuchen. Er murmelte es nur leise, so leise, dass es nur der Weihnachtsmann hören konnte. Und der hatte keine Lust, noch mehr dazu zu sagen.

© Regina Meier zu Verl & Elke Bräunling