Schlagwörter

, , ,

Rosen zum Valentinstag

„Mein Mann schenkte mir immer eine rote Rose zum Valentinstag. Das hat er nie vergessen!“, erzählte Hilde ihrer Zimmernachbarin im Seniorenstift.
„Valentinstag?“ Bertha knurrte, wie sie es immer tat, wenn sie etwas nicht gut fand.
„Neumodischer Kram aus Amerika. Genauso unsinnig wie der Weihnachtsmann, Halloween und diese grässlichen Fleischklöße im Brötchen.“
„Meine Liebe, nicht alles ist unsinnig, was neu ist oder aus Amerika kommt!“ Hilde kannte das schon. Berta hatte an allem und jedem etwas auszusetzen.
„Dann bitte ich um ein Beispiel, Hilde. Ich wette, dass es nichts gibt, was mich überzeugen könnte!“
Hilde biss sich auf die Lippen. Berta hatte eine Gabe, alle ihr nicht genehmen Themen unter den Tisch fallen zu lassen.
„Der Valentinstag, meine Liebe, ist so ein Beispiel“, antwortete sie. „Ich mag ihn sehr.“
Berta schaute über Hildes Kopf hinweg aus dem Fenster. Sie sah aus, als wäre sie weit weg und hörte gar nicht mehr richtig zu. Wenn Hilde sich nicht täuschte, schimmerte da eine Träne in Bertas Augen. Sie glaubte zu ahnen, was in der Freundin vorging.
„Du …“, versuchte sie es, doch im gleichen Moment sagte Berta:
„Mir hat nie einer etwas geschenkt. Nicht zu Valentin und nicht zu Muttertag, nicht zu Ostern und auch nicht zu Weihnachten. Mein Mann und die Kinder …“ Sie brach ab.
Hilde schluckte, ängstlich erwartete sie, was Berta erzählen würde, denn das klang gar nicht gut. Hilde wusste nichts über die Nachbarin, vielleicht hätte sie nachfragen sollen, aber Berta war immer so ruppig.
„Was war mit deinem Mann und den Kindern?“, fragte sie vorsichtig nach.
„Nichts! Nichts war mit ihnen“, antwortete Berta nach einer kleinen Pause. „Mein Mann, der war halt so … so lieblos. Die Kinder haben es ihm nachgemacht, auch als er uns längst verlassen hatte“
Sie brach ab. „Ich rede zu viel. Das tut nicht gut.“
Hilde schwieg. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte.
„Ich will auch nicht jammern, hier geht es mir ja gut!“, nahm Berta das Gespräch wieder auf.
„Stimmt, es geht uns gut und manchmal darf man auch jammern, denn jedes Mal, wenn man über etwas redet, dann stellt man es ein wenig weiter von sich weg. Weißt du, wie ich es meine?“
Berta nickte. Ja, sie wusste, was ihr die Freundin sagen wollte. Sie wusste es ja selbst. Sie war ja nicht blöde. Im Kopf war ihr alles klar und sie hatte ihren Lieben, die in alle Winder verstreut weit weg von ihr lebten, längst verziehen. Im Kopf. Nicht im Bauch, und das war das Schwierige.
„Meine Damen“, sagte Clemens Strecker, der sich gerade ihrem Tisch näherte. Er deutete eine leichte Verbeugung an und zog dann seine Arme hinter dem Rücken hervor. In jeder Hand hatte er eine gelbe Rose, die er Berta und Hilde nun überreichte. „Darf ich mir einen kleinen Gruß zum Valentinstag erlauben?“
„Sie dürfen, mein Lieber!“, antworteten beide Frauen im Chor und ein Strahlen legte sich auf ihre Gesichter.
Irgendwie fand auch Berta den Valentinstag plötzlich schön, irgendwie.

© Regina Meier zu Verl & Elke Bräunling